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Holger J. Haberbosch
Rechtsanwalt
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Besteuerung von Abfindungen bei Anwendung DBA-Belgien

Kein Besteuerungsrecht der Bundesrepublik für Abfindungszahlungen eines in Belgien wohnhaften Steuerpflichtigen

BFH, Urt. vom 02.09.2009 – I R 90/08 (Vorinstanz: FG Köln vom 13.8.2008 4 K 3363/07)

1. Art. 15 Abs. 1 DBA-Belgien ermöglicht kein deutsches Besteuerungsrecht für eine Abfindungszahlung, die eine in Belgien ansässige Person von ihrem bisherigen inländischen Arbeitgeber aus Anlass der Kündigung des Arbeitsverhältnisses erhält (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung).
2. Eine Übereinkunft zwischen den deutschen und belgischen Steuerbehörden (hier: Verständigungsvereinbarung mit dem belgischen Finanzministerium vom 15. Dezember 2006 über die Zuordnung des Besteuerungsrechts bei Abfindungen an Arbeitnehmer, bekannt gegeben durch BMF-Schreiben vom 10. Januar 2007, BStBl I 2007, 261) nach Maßgabe von Art. 25 Abs. 3 DBA-Belgien bindet die Gerichte nicht (ebenfalls Bestätigung der ständigen Rechtsprechung).
3. Natürliche Personen, die nach § 1 Abs. 3 EStG 2002 auf Antrag als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden, unterfallen nicht der sog. Rückfallregelung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007.


Angewandte Vorschriften: DBA-Belgien Art. 15 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Art. 25 Abs. 3; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 59 Abs. 2, Art. 80 Abs. 1; WÜRV Art. 4, Art. 31; EStG 2002 § 1 Abs. 3, § 3 Nr. 9, § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 32b Abs. 1 Nr. 3, § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2; EStG 2002 i.d.F. des StÄndG 2003 § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d; EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007 § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1

Gründe

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau hatten ihren Wohnsitz im Streitjahr 2005 in Belgien. Der Kläger erzielte im Streitjahr in Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Sein Arbeitgeber kündigte ihm aus betriebsbedingten Gründen zum 31. Dezember 2005.
Aus Anlass dieser Kündigung erhielt der Kläger im Streitjahr neben einem Bruttoarbeitslohn in Höhe von 53.023,14 EUR eine Abfindung in Höhe von 19.110 EUR und eine Jubiläumszuwendung in Höhe von 1.074 EUR. Die Abfindung zahlte der Arbeitgeber in Höhe von 7.200 EUR steuerfrei aus. Die Jubiläumszuwendung und den nicht steuerfrei belassenen Teil der Abfindung besteuerte der Arbeitgeber nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) ermäßigt.
Mit ihrer Einkommensteuererklärung 2005 beantragten der Kläger und seine Ehefrau die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung nach den Grundsätzen der unbeschränkten Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 3 EStG 2002. Beigefügt war eine Bescheinigung EU/EWR (nach § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG 2002), aus der sich ergab, dass weder der Kläger noch seine Ehefrau in Belgien im Streitjahr Einkünfte erzielt hatten, die dort der Besteuerung unterlagen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -FA-) setzte die Einkommensteuer gemäß § 1 Abs. 3 EStG 2002 nach den Grundsätzen der unbeschränkten Steuerpflicht fest. Die Abfindung in Höhe von 19.110 EUR bezog er dabei nach Abzug des Freibetrags von 7.200 EUR nach § 3 Nr. 9 EStG 2002 in die Steuerfestsetzung mit ein (angesetzter Bruttoarbeitslohn 66.008 EUR); die Abfindung und die Jubiläumszuwendung wurden der sog. Fünftel-Regelung nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG 2002 unterworfen. Das FA bezog sich im Hinblick auf die Besteuerung der Abfindung auf die zwischen dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) der Bundesrepublik Deutschland und dem Finanzministerium des Königreichs Belgien am 15. Dezember 2006 getroffene Verständigungsvereinbarung gemäß Art. 25 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regulierung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11. April 1967 (BGBl II 1969, 18, BStBl I 1969, 39) i.d.F. des Zusatzabkommens vom 5. November 2002 (BGBl II 2003, 1616) -DBA-Belgien-; das BMF hat diese Verständigungsvereinbarung in seinem Schreiben vom 10. Januar 2007 (BStBl I 2007, 261) bekannt gegeben.
Die Klage gegen den hiernach ergangenen Einkommensteuerbescheid war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) Köln gab ihr durch Urteil vom 13. August 2008 4 K 3363/07 statt; das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 1775 veröffentlicht.
Seine Revision stützt das FA auf Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das dem Revisionsverfahren beigetretene BMF hat sich in der Sache dem FA angeschlossen, jedoch keine eigenen Anträge gestellt.

II.

Die Revision ist unbegründet.

1.

Das FA hat dem Antrag des Klägers, der im Streitjahr im Inland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in Belgien auch keine Einkünfte erzielte, die nicht der deutschen Besteuerung unterlagen, zu Recht entsprochen und ihn nach Maßgabe des § 1 Abs. 3 EStG 2002 mit den inländischen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 (i.V.m. § 19) EStG 2002 (i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften -Steueränderungsgesetz 2003 [StÄndG 2003]- vom 15. Dezember 2003, BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt.
a) Zu diesen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehört gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG 2002 i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2003 auch die in Rede stehende Abfindung. Denn diese wurde nach den bindenden tatrichterlichen Feststellungen als Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 EStG 2002 für die Auflösung eines Dienstverhältnisses gezahlt und die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte haben der inländischen Besteuerung unterlegen. Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG 2002 i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2003 sind damit erfüllt. Das ist unter den Beteiligten auch nicht streitig.
b) Eine Veranlagung des Klägers und seiner Ehefrau gemäß § 1 Abs. 3 EStG 2002 setzt voraus, dass deren Einkünfte im Streitjahr mindestens zu 90 v.H. der deutschen Einkommensteuer unterlagen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nicht mehr als 12.272 EUR im Kalenderjahr betrugen (§ 1 Abs. 3 Satz 2, § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002). Jedenfalls die alternative Höchstbetragsgrenze von 12.272 EUR wurde im Streitfall nicht überschritten. Zwar belief sich die gezahlte Abfindung auf 19.110 EUR. Da diese in Höhe von 7.200 EUR nach § 3 Nr. 9 EStG 2002 steuerfrei war, lagen die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte (s. dazu nachfolgend unter 2.) in Höhe der verbleibenden 11.910 EUR unter dem schädlichen Betrag von 12.272 EUR (s. dazu BMF-Schreiben vom 6. Dezember 1995, BStBl I 1995, 803; Gosch in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 1 Rz 34, m.w.N.).

2.

Das Deutschland nach innerstaatlichem Recht zustehende Besteuerungsrecht für die Abfindung wurde durch das DBA-Belgien beschränkt; das Besteuerungsrecht steht nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Belgien Belgien als dem Wohnsitzstaat des Klägers zu.
a) Art. 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2 DBA-Belgien, der die Behandlung von Einkünften aus einer unselbständigen Arbeit regelt, bestimmt, dass Löhne, Gehälter und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden können, es sei denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.
Wie der Senat wiederholt entschieden hat (z.B. Urteile vom 24. Februar 1988 I R 143/84, BFHE 152, 500, BStBl II 1988, 819; vom 27. August 2008 I R 81/07, BFHE 222, 560, BStBl II 2009, 632; vom 10. Juli 1996 I R 83/95, BFHE 181, 155, BStBl II 1997, 341; Beschluss vom 12. September 2006 I B 27/06, BFH/NV 2007, 13, jeweils m.w.N.), folgt daraus, dass Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses nicht im Tätigkeitsstaat, sondern im Ansässigkeitsstaat zu besteuern sind. Denn bei Abfindungen handelt es sich unbeschadet dessen, dass sie nach dem insoweit maßgebenden innerstaatlichen Recht (vgl. Art. 3 Abs. 2 DBA-Belgien) Arbeitslohn (§ 19 EStG 2002) sind, nicht um ein zusätzliches Entgelt für eine frühere Tätigkeit i.S. des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Belgien. Sie werden nicht für eine konkrete im Inland oder Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt, sondern gerade für den Verlust des Arbeitsplatzes. Ein bloßer Anlasszusammenhang zwischen Zahlung und Tätigkeit genügt nach dem Abkommenswortlaut („dafür“) indes nicht. Die Finanzverwaltung hat sich dem prinzipiell angeschlossen (BMF-Schreiben vom 14. September 2006, BStBl I 2006, 532, dort Tz. 6.3).
b) An dieser Rechtsauffassung, an welcher der Senat festhält, hat sich infolge der zwischenzeitlichen Verständigungsvereinbarung der deutschen und belgischen Finanzbehörden zur Besteuerung von Abfindungen vom 15. Dezember 2006 -und damit nach Ablauf des Streitjahres- nichts geändert.
aa) Das BMF und das Finanzministerium des Königreichs Belgien haben sich in jener Vereinbarung (wiedergegeben im BMF-Schreiben in BStBl I 2007, 261) auf der Basis von Konsultationsverhandlungen nach Maßgabe des Art. 25 Abs. 3 DBA-Belgien darauf verständigt, das Besteuerungsrecht der beiden Vertragsstaaten danach zuzuteilen, ob der Abfindung Versorgungscharakter beizumessen ist oder ob es sich um eine Nachzahlung von Löhnen, Gehältern oder anderen Vergütungen handelt. In dem ersten Fall kann die Abfindung danach gemäß Art. 18 DBA-Belgien nur im Wohnsitzstaat des Empfängers besteuert werden, im zweiten Fall soll gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA-Belgien das sog. Tätigkeitsortsprinzip gelten. Hintergrund dieser Vereinbarung ist der Umstand, dass aufgrund der unterschiedlichen Spruchpraxis der Steuergerichte in Deutschland und in Belgien über die Besteuerungszuordnung die Gefahr sog. weißer Einkünfte, also der doppelten Nichtbesteuerung, bestand. Die Vereinbarung tritt nach ihrem Abs. 5 Satz 1 am Tag nach der Unterzeichnung in Kraft. Sie ist nach Abs. 5 Satz 3 auch auf alle Fälle anzuwenden, die -wie der Streitfall- zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vereinbarung noch nicht abgeschlossen oder die Gegenstand eines Verständigungsverfahrens sind. Für die Beurteilung des Steitfalls ergeben sich daraus jedoch keine Konsequenzen.
bb) Die Vereinbarung betrifft die Auslegung des zwischenstaatlichen vereinbarten Abkommenstextes. Sie wird als solche nach Art. 25 Abs. 3 DBA-Belgien ermöglicht und soll eine weitgehende Widerspruchsfreiheit bei der Abkommensanwendung sicherstellen. Die Frage nach der Bindungswirkung einer derartigen Vereinbarung ist indes umstritten.
Überwiegend (s. z.B. Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 25 Rz 154, 166; Vogel, daselbst, Einl. Rz 109, 200 f.; Lüthi in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 25 OECD-MA Rz 94; Gosch in Lüdicke [Hrsg.], Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht?, 2009, S. 130 ff., 134; Schmitz in Strunk/ Kaminski/Köhler, Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 25 OECD-MA Rz 64; Eilers in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 25 MA Rz 61; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., Rz 209 f.; Ismer, Internationales Steuerrecht -IStR- 2009, 366; O. Schmidt in Haase, Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 15 Rz 51 ff.; Becker, daselbst, Art. 25 Rz 42; Kopf in Lang/Jirousek [Hrsg.], Praxis des Internationalen Steuerrechts, Festschrift Loukota, 2005, S. 253, jeweils m.w.N.) wird angenommen, dass zwischen der (völkerrechtlichen) Bindung gegenüber dem anderen Vertragsstaat, der Bindung innerstaatlicher Rechtsanwendungsorgane und der Selbstbindung der die Verständigungsvereinbarung abschließenden und der ihnen nachgeordneten Behörden zu unterscheiden ist. Innerstaatliche Wirkungen kann eine solche Vereinbarung für die rechtsanwendenden Organe, also vor allem die Rechtsprechung, nur nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Vorgaben des einzelnen Vertragsstaats entfalten. Das kann im Einzelfall ihre unmittelbare Wirksamkeit zur Folge haben. Es kann aber auch, wie im Regelfall in Deutschland, voraussetzen, dass die Vereinbarung zunächst nach den Grundsätzen des einschlägigen Verfassungsrechts in einfaches Gesetzesrecht transformiert werden muss (vgl. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes -GG-). Andernfalls bleibt es bei der Letztverbindlichkeit des Abkommens in seiner in diesem Sinne in nationales Recht umgesetzten Fassung. Diese Fassung allein ist vor dem Hintergrund des grundgesetzlichen Gesetzesvorbehalts (Art. 20 Abs. 3 GG) für die Abkommensauslegung maßgeblich. Denn aus innerstaatlicher Sicht handelt es sich bei der nicht transformierten Verständigungsvereinbarung der beteiligten Finanzverwaltungen lediglich um ein Verwaltungsabkommen und damit der Rechtsnatur nach um eine Verwaltungsvorschrift, die nicht auf einer ihrerseits demokratisch legitimierten Rechtsverordnung i.S. von Art. 80 Abs. 1 GG beruht und die deswegen nicht geeignet ist, positives Recht in verbindlicher Weise zu verändern. In Einklang mit diesen Vorgaben hat der Senat bereits durch seine Urteile vom 1. Februar 1989 I R 74/86 (BFHE 157,39, BStBl II 1990, 4) sowie vom 10. Juli 1997 I R 4/96 (BFHE 181, 158, BStBl II 1997, 15) entschieden. Der Streitfall gibt keine Veranlassung, davon abzurücken.
cc) Das schließt es nicht aus, die Abkommenspraxis der Vertragsstaaten, wie sie in der Verständigungsvereinbarung zum Ausdruck kommt, bei der Abkommensauslegung zu berücksichtigen; es gilt der Grundsatz der Entscheidungsharmonie. In Einklang damit stehen die Grundsätze zur Auslegung von Verträgen nach Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 -WÜRV- (BGBl II 1985, 927), in innerstaatliches Recht transformiert seit Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes vom 3. August 1985 (BGBl II 1985, 926) am 20. August 1987 (BGBl II 1987, 757): Ein Vertrag ist danach nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seiner Bestimmung in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Außer dem bei der Auslegung zu berücksichtigenden und in Art. 31 Abs. 2 WÜRV näher beschriebenen systematischen „Zusammenhang“ sind nach Art. 31 Abs. 3 WÜRV in gleicher Weise zu berücksichtigen: a) jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrages oder die Anwendung seiner Bestimmungen sowie b) jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht. So gesehen kann ein übereinstimmendes Abkommensverständnis und eine gemeinsame „Übung“ der beteiligten Finanzverwaltungen für eine Abkommensauslegung bedeutsam sein (s. z.B. Senatsurteile vom 25. Oktober 2006 I R 81/04, BFHE 215, 237, sowie I R 18/04, BFH/NV 2007, 875, beide zu leitenden Angestellten als sog. Grenzgänger im Sinne des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 -DBA-Schweiz 1971-), das aber immer nur insofern, als sie sich aus dem Wortlaut des Abkommens ableiten lassen (vgl. Senatsurteil vom 27. August 2008 I R 64/07, BFHE 222, 553, BStBl II 2009, 97). Auch diese Grundsätze erzwingen eine Regelungsauslegung also immer nur nach Maßgabe des Abkommenswortlauts; dieser stellt in abschließender Weise die „Grenzmarke“ für das „richtige“ Abkommensverständnis dar.
Daran scheitert im Streitfall die vom FA und vom BMF verfochtene Auslegung: Der Abkommenstext ist aus Sicht des erkennenden Senats aus den beschriebenen Gründen hinreichend eindeutig. Wenn eine Staatenpraxis dennoch wechselseitig von der bisherigen Abkommensauslegung abweicht, so wird dadurch nicht eine Auslegung, die insbesondere auf dem Abkommenswortlaut gründet, bestätigt. Vielmehr läuft dies auf eine -für den Steuerpflichtigen steuerverschärfende und damit (ggf. und so auch im Streitfall überdies rückwirkend) belastende- Abkommensänderung hinaus und ist es allein aus dem bilateralen Bemühen zu erklären, etwaigen Nichtbesteuerungen der betreffenden Abfindungen vorzubeugen. Die Umsetzung dieses Bemühens mag (unbeschadet des Abkommensprinzips der nur virtuellen Doppelbesteuerung) gerechtfertigt und vor allem in der abkommensrechtlich (in Art. 25 Abs. 3 DBA-Belgien) vereinbarten Bekundung angelegt sein, Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des Abkommens entstehen, in gegenseitigem Einvernehmen zu beseitigen. Sie kann vor dem Hintergrund des Abkommenstextes indes aus deutscher Sicht nur gelingen, wenn die „spätere Übung“ oder „Übereinkunft“ in positives und mit dem Abkommen gleichrangiges Recht erhoben wird. Es gilt erneut der verfassungsrechtliche Gesetzesvorbehalt. Auf der Basis einer bloßen Verwaltungsvereinbarung gelingt das deswegen nicht (vgl. Senatsurteil in BFHE 157, 39, BStBl II 1990, 4; s. auch H. Loukota, Steuer und Wirtschaft International -SWI- 2000, 299, 304 ff.; s. auch abgrenzend Senatsurteile vom 17. Dezember 2003 I R 14/02, BFHE 204, 263, BStBl II 2004, 260; vom 4. Juni 2008 I R 62/06, BFHE 222, 255, BStBl II 2008, 793; vom 20. August 2008 I R 39/07, BFHE 222, 509, BStBl II 2009, 234). Ob das -wie das BMF vorträgt- nach den Verfassungsordnungen verschiedener anderer Staaten abweichend gehandhabt werden kann und wird (vgl. dazu auch, insbesondere in Bezug auf die Niederlande, Prokisch in Vogel/Lehner, a.a.O., Art. 15 Rz 17a f.; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 15 MA Rz 144; s. auch aus österreichischer Sicht M. Lang/ Schuch, DBA-Österreich, Art. 21 Rz 13; H. Loukota, SWI 2000, 299; Kopf in Festschrift Loukota, a.a.O., S. 253), ist insofern unbeachtlich.
dd) Ein anderes Ergebnis folgt weder aus dem vom BMF herangezogenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr vom 12. Juli 1994 2 BvE 3/92, 2 BvE 5/93, 2 BvE 7/93, 2 BvE 8/93 (BVerfGE 90, 286) noch aus dem Urteil des BVerfG vom 22. November 2001 2 BvE 6/99 (BVerfGE 104, 151, 209) zum NATO-Strategiekonzept. Zwar hebt das BVerfG insbesondere in dem Urteil in BVerfGE 90, 286 hervor, dass in der völkerrechtlichen Praxis „fließende Übergänge zwischen Vertragsauslegung und Vertragsänderung“ bestehen (unter III.3.a dd der Entscheidungsgründe). Es liege auch in der Hand der Vertragspartner, durch eine Vertragsauslegung eine neue Praxis der Vertragsanwendung begründen zu wollen, selbst dann, wenn diese Praxis -entgegen der Auffassung der Vertragsparteien- über den Vertragsinhalt hinausgehe; eines Zustimmungsvorbehalts des Gesetzgebers (nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) bedürfe es in derartigen Situationen nicht (ebenda). Das BVerfG stellt aber zugleich klar, dass der Vollzug solcher Vereinbarungen dann auf jene Tätigkeiten beschränkt ist, die nicht dem Gesetzesvorbehalt unterliegen. Ist das nicht der Fall -und der Senat nimmt dies unter den Gegebenheiten des Streitfalls für den steuerrechtlich belastenden Zugriff auf die in Rede stehende Abfindungszahlung aus den dargelegten Erwägungen an- „besteht ein Handlungsverbot, solange nicht entweder das nationale Zustimmungsgesetz den innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl erteilt oder das Parlament eine sonstige ausreichende Ermächtigungsgrundlage geschaffen hat“ (unter III.3.a ee der Entscheidungsgründe), woran es vorliegend jedoch fehlt.
ee) Aus demselben Grund scheidet schließlich die vom BMF eingeforderte verfassungskonforme Auslegung des Abkommens (nach Maßgabe des Leistungsfähigkeitsprinzips, Art. 3 Abs. 1 GG) aus, um der Gefahr einer doppelten Nichtbesteuerung des Klägers (und damit sog. weißer Einkünfte) entgegenzutreten (s. dazu erneut auch Senatsurteile in BFHE 222, 255, BStBl II 2008, 793, und in BFHE 222, 509, BStBl II 2009, 234).

3.

Weitere Rechtsgrundlagen, welche ein deutsches Besteuerungsrecht an der gezahlten Abfindung zu begründen vermöchten, sind nicht ersichtlich. Eine solche ergibt sich namentlich nicht aus § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 (i.V.m. § 52 Abs. 59a Satz 6 EStG 2002) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007, BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28 -JStG 2007-) -EStG 2002 n.F.-. Diese Vorschrift zielt zwar darauf ab, unter näher eingegrenzten Voraussetzungen das Besteuerungsrecht für bestimmte Einkünfte trotz deren abkommensrechtlicher Freistellung sicherzustellen, falls es in dem anderen Vertragsstaat nicht zu einer Besteuerung kommt und deswegen eine sog. Keinmal- oder doppelte Nichtbesteuerung droht. Diesen Zweck verwirklicht § 50d Abs. 9 EStG 2002 n.F. allerdings nicht umfassend, sondern nur für unbeschränkt Steuerpflichtige. § 50d Abs. 9 EStG 2002 n.F. baut also erkennbar auf der sog. Freistellungsmethode des Art. 23A des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development auf und bestimmt (nur) hierfür unbeschadet der bilateral verabredeten Freistellung im Wege eines sog. Treaty override einseitig den Rückfall des (deutschen) Besteuerungsrechts. Unter den im Streitfall in Rede stehenden Vorgaben der sog. fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG 2002 geht es jedoch gerade nicht um einen derartigen „Rückfall“ des Besteuerungsrechts nach Deutschland als den Wohnsitzstaat infolge abkommensrechtlich durch diesen gewährter Freistellung (vorliegend nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Art. 15 Abs. 1 DBA-Belgien), sondern um dessen Besteuerungszugriff als Quellenstaat (nach dem Tätigkeitsortprinzip). Wohnsitzstaat des Klägers ist und bleibt hingegen Belgien (vgl. zum Verhältnis der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG 2002 einerseits und der abkommensrechtlichen Ansässigkeit und Abkommensberechtigung andererseits auch Senatsurteil vom 20. September 2006 I R 13/02, IStR 2007, 148). Nur diese Abkommenskonstellation eines sog. Outbound-Sachverhalts hat § 50d Abs. 9 EStG 2002 vor Augen; Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen werden erklärtermaßen nicht einbezogen. Das aber muss sich dann auch auf natürliche Personen auswirken, welche nicht tatsächlich (gemäß § 1 Abs. 1 EStG 2002), sondern lediglich fiktiv nach Maßgabe des § 1 Abs. 3 EStG 2002 mit ihren inländischen Einkünften i.S. des § 49 EStG 2002 (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbsatz EStG 2002) als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden. Der insoweit nicht unterscheidende und deshalb überschießende Regelungstatbestand („… unbeschränkt Steuerpflichtigen …“) in § 50d Abs. 9 EStG 2002 n.F. ist entsprechend eingeschränkt aufzufassen (im Ergebnis ebenso z.B. Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, § 50d Abs. 9 EStG Rz 52 f.; Wagner in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 50d EStG Rz 102; wohl auch Frotscher, EStG, § 50d Rz 131; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 2009, S. 230; anders Hahn-Joecks in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rz J 7 und K 6; Nieland in Lademann, EStG, § 50d Rz 412), ohne dass noch zu prüfen wäre, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift im Übrigen vorliegen. Ebenso wenig muss der Frage danach nachgegangen werden, ob die Vorschrift verfassungsrechtlichen Anforderungen standhält (s. dazu allgemein -im Hinblick auf das sog. Treaty overriding- z.B. Gosch, IStR 2008, 413; Frotscher in Spindler/Tipke/Rödder [Hrsg.], Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für Schaumburg, 2009, S. 687 ff., sowie konkret -bezogen auf die in § 52 Abs. 59a Satz 6 EStG 2002 n.F. angeordnete Rückwirkung auf noch nicht bestandskräftig abgeschlossene Verfahren- z.B. Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 50d Rz 7; Schönfeld in Flick/ Wassermeyer/Baumhoff, a.a.O., § 50d Abs. 9 EStG Rz 31 ff.; Hahn-Joecks in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 50d Rz K 5, jeweils m.w.N.).

4.

Obwohl die Abfindung aus der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer herauszunehmen ist, unterliegt sie, soweit sie den Freibetrag von 7.200 EUR übersteigt (§ 3 Nr. 9 EStG 2002), dem Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002). Dabei sind die darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte mit einem Fünftel zu berücksichtigen (§ 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG 2002). Darüber besteht unter den Beteiligten kein Streit, so dass sich auch dazu weitere Ausführungen erübrigen.

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