Ausländische Verlustverrechnung durch den Erben
Ausführliches Urteil zur Schnittstelle von Doppelbesteuerungsrecht und Erbrecht. Verlustverrechnung von ausländischen Verlusten durch den Erben.
BFH Beschluss vom 25.08.2010 – I R 13/09
AuslInvG § 2 Abs. 1, § 5 BGB § 1922 Abs. 1
Vorinstanz: FG Nürnberg vom 30. 10. 2008 VII 220/2004
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) als Erbe einen beim Erblasser entstandenen Verlustabzugsbetrag gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei Auslandsinvestitionen der deutschen Wirtschaft vom 18. August 1969 (BGBl 1969, 1211, 1214, BStBl I 1969, 477, 480) -AuslInvG- nachversteuern muss.
Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr (1986) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger ist Miterbe nach seinem im Jahr 1982 verstorbenen Vater (V). Dieser hatte im Zusammenhang mit Einkünften aus einer Betriebsstätte in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) einen Verlustabzug i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 AuslInvG in Höhe von 8.270.100 DM in Anspruch genommen. Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 1982 hatte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) ein Fünftel dieses Verlustabzugs – einen Betrag von 1.674.019 DM – dem Kläger zugeordnet. Da der Kläger selbst ebenfalls einen Verlustabzug gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 AuslInvG in Anspruch genommen hatte, entfiel auf ihn – unter Berücksichtigung einer bei der Veranlagung für 1982 erfolgten Hinzurechnung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 AuslInvG – zum 31. Dezember 1982 ein verbliebener Verlustabzug in Höhe von 6.615.613 DM. Der Betrag des verbliebenen Verlustabzugs verminderte sich bis zum 31. Dezember 1985 durch weitere Hinzurechnungen auf 1.135.527 DM. Im Streitjahr erzielte der Kläger positive Einkünfte aus der Betriebsstätte in den USA, woraufhin das FA einen Betrag von 795.244 DM im Wege der Hinzurechnung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 AuslInvG berücksichtigte.
Die Kläger erhoben gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr zunächst aus anderen Gründen Klage. Im Verlauf des Klageverfahrens machten sie außerdem geltend, dass der von V vorgenommene Verlustabzug nicht beim Kläger zu einer Hinzurechnung führen dürfe. Das folge aus der Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04 (BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608), nach der ein Erbe einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug gemäß § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen könne. Diese Entscheidung sei auf die Frage, ob ein Hinzurechnungsbetrag gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 AuslInvG auf den Erben übergehe, zu übertragen. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (FG Nürnberg, Urteil vom 30. Oktober 2008 VII 220/2004); sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2009, 1188 abgedruckt.
Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und den angefochtenen Bescheid dahin zu ändern, dass der Hinzurechnungsbetrag in Höhe von 795.244 DM nicht in die Bemessungsgrundlage der Steuer einbezogen wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Revisionsverfahren beigetreten. Es teilt inhaltlich die Rechtsauffassung des FA, hat aber keinen Antrag gestellt.
II.
Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der streitige Betrag bei der Besteuerung der Kläger für das Streitjahr gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 AuslInvG zu berücksichtigen ist.
1. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AuslInvG i.V.m. § 5 AuslInvG in der im Streitfall maßgeblichen Fassung durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1981, 1523, BStBl I 1982, 235) ist auf Antrag des Steuerpflichtigen ein Verlust, der sich bei nach einem Doppelbesteuerungsabkommen steuerbefreiten Auslandseinkünften ergibt, unter bestimmten Voraussetzungen in dem im Gesetz näher bezeichneten Umfang bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte abzuziehen. Ein solcher Steuerabzug ist nach den Feststellungen des FG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden und deshalb für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), im Streitfall im Verhältnis zu V vorgenommen worden. Die abgezogenen Verluste hatte V aus einer Betriebsstätte in den USA erzielt.
2. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 5 AuslInvG ist der gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 AuslInvG abgezogene Betrag, soweit sich in einem folgenden Veranlagungszeitraum bei den nach dem Abkommen zu befreienden Einkünften aus in dem ausländischen Staat gelegenen Betriebsstätten insgesamt ein positiver Betrag ergibt, in dem betreffenden Veranlagungszeitraum bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte wieder hinzuzurechnen. Um eine solche Hinzurechnung geht es im Streitfall.
3. Nach den bindenden Feststellungen des FG ist V im Jahr 1982 verstorben und vom Kläger zu einem Fünftel beerbt worden. Ferner hat das FG festgestellt, dass auf V im Zeitpunkt seines Todes ein nicht gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 AuslInvG ausgeglichener Verlustabzug i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 AuslInvG in Höhe von 8.837.100 DM entfiel und dass dieser bis zum Beginn des Streitjahres nicht vollständig ausgeglichen worden ist. Schließlich ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil, dass der Kläger im Streitjahr aus Betriebsstätten in den USA gewerbliche Einkünfte in Höhe von 795.244 DM erzielt hat. Einen Betrag in Höhe dieser Einkünfte hat das FA zu Recht dem Gesamtbetrag der Einkünfte des Klägers hinzugerechnet.
a) Nach § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geht mit dem Tode einer Person (Erbfall) deren Vermögen als Ganzes auf deren Erben über. Über diese zivilrechtliche Gesamtrechtsnachfolge hinaus tritt nach der BFH-Rechtsprechung der Erbe sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers ein. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur im Hinblick auf Umstände, die die höchstpersönlichen Verhältnisse des Erblassers betreffen und unlösbar mit dessen Person verbunden sind (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 220, 129, 136, BStBl II 2008, 608, 611, m.w.N.). Welche steuerrechtlichen Positionen in diesem Sinne „vererblich“ sind, ist unter Heranziehung der materiell-rechtlichen Normen und Prinzipien des jeweils maßgeblichen Einzelsteuergesetzes zu beurteilen (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 220, 129, 136, BStBl II 2008, 608, 612).
b) Der Große Senat des BFH hat in seinem Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608 erkannt, dass der in § 10d EStG vorgesehene Verlustabzug nicht vom Erblasser auf den Erben übergehe. Diese Beurteilung beruht vor allem auf dem Gedanken, dass § 10d EStG der durch den Verlust verursachten Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Rechnung trage und dass ein vom Erblasser erzielter Verlust nur dessen eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, nicht aber diejenige des oder der Erben mindere. Zugleich hat der Große Senat ausgeführt, dass im Fall der „gespaltenen Tatbestandsverwirklichung“ andere Regeln gelten können. Eine solche „gespaltene Tatbestandsverwirklichung“ hat er u.a. dann für gegeben erachtet, wenn – wie z.B. im Regelungsbereich des § 24 Nr. 2 letzter Halbsatz EStG – der Erbe eine vom Erblasser eingeleitete Einkunftserzielung lediglich abschließt. In diesen und ähnlichen Fällen bestehe eine „Verklammerung von sowohl in der Person des Erblassers als auch in derjenigen des Erben jeweils teilweise verwirklichten Besteuerungsmerkmalen“, die es rechtfertige, die vom Erblasser verwirklichten Besteuerungsmerkmale dem Erben zuzurechnen und ihn in diesem Sinne in die steuerrechtliche Position des Erblassers eintreten zu lassen (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 220, 129, 142, BStBl II 2008, 608, 614).
c) Eine solche „Verklammerung“ von Merkmalen, die einerseits vom Erblasser und andererseits vom Erben verwirklicht worden sind, besteht u.a. im Regelungsbereich des § 2 Abs. 1 AuslInvG. Sie besteht darin, dass es zunächst zu einem Verlustabzug gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 AuslInvG gekommen sein muss, der sodann gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 AuslInvG ausgeglichen wird. Dabei werden, wenn in der Zeit zwischen der Gewährung des Verlustabzugs und dessen späterem Ausgleich der Abzugsberechtigte verstorben ist, die Voraussetzungen für den Verlustabzug selbst vom Abzugsberechtigten (Erblasser) und diejenigen für den Ausgleich des Verlustabzugs von seinem Gesamtrechtsnachfolger (Erbe) verwirklicht. Damit liegt eine „gespaltene Tatbestandsverwirklichung“ in dem vom Großen Senat des BFH angesprochenen Sinne vor, die es rechtfertigt, das vom Erblasser verwirklichte Besteuerungsmerkmal „Verlustabzug“ dem Erben zuzurechnen.
d) Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass die in § 2 Abs. 1 Satz 3 AuslInvG angeordnete Hinzurechnung an die Erzielung bestimmter positiver Einkünfte im Hinzurechnungszeitraum anknüpft und dass es in diesem Zusammenhang nicht darauf ankommt, ob jene Einkünfte auf derselben Einkunftsquelle beruhen wie der zuvor abgezogene Verlustbetrag (dazu Probst in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, § 2a EStG Rz 528). Die Kläger weisen zwar zu Recht darauf hin, dass nach dieser Regelungslage in Erbfällen die Hinzurechnung unmittelbar durch Einkünfte ausgelöst wird, die allein der Erbe erzielt und die zudem nicht auf einer geerbten Einkunftsquelle beruhen müssen. Entscheidend ist aber, dass es bei der Hinzurechnung nicht um eine – abkommensrechtlich unzulässige – Besteuerung jener Einkünfte, sondern um die Korrektur des ursprünglich in Anspruch genommenen Steuerabzugs geht (BFH-Urteile vom 8. März 1989 X R 181/87, BFHE 156, 190, 193, BStBl II 1989, 541, 542; vom 20. September 1989 X R 180/87, BFHE 158, 368, 370, BStBl II 1990, 112, 113; ebenso zu dem mit § 2 Abs. 1 Satz 3 AuslInvG vergleichbaren § 2a Abs. 3 Satz 3 EStG a.F.: Kaminski in Korn, Einkommensteuergesetz, § 2a Rz 87). Die später erzielten positiven Einkünfte sind nur der formale Anknüpfungspunkt jener Korrektur (Gosch in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 2a Rz 92; Heinicke in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 29. Aufl., § 2a Rz 57), die sich inhaltlich auf die Gewährung des Abzugsbetrags und deshalb in Erbfällen auf die Besteuerung des Erblassers bezieht. Insoweit handelt es sich mithin darum, dass der Erblasser einen Besteuerungssachverhalt in Gang gesetzt hat und dieser Sachverhalt nach seinem Tod zum Abschluss kommt. In einem solchen Fall tritt der Erbe steuerrechtlich in die Rechtsposition des Erblassers ein.
e) Entgegen der Ansicht der Kläger kann der Entscheidung des Großen Senats nicht entnommen werden, dass eine „gespaltene Tatbestandsverwirklichung“ nur dann vorliegen könne, wenn ein bestimmter Vorgang beim Erblasser steuerlich folgenlos bleibt und Rechtsfolgen erstmals beim Erben eintreten. Vielmehr ist nach jener Entscheidung, was die Vererblichkeit steuerrechtlicher Rechtspositionen angeht, vorrangig auf die Regelungen und Grundsätze des jeweiligen Einzelsteuergesetzes abzustellen (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 220, 129, 136, BStBl II 2008, 608, 612). Dieses sieht in dem hier interessierenden Zusammenhang eine Verknüpfung zwischen dem Verlustabzug einerseits und der Hinzurechnung andererseits vor, die auf dem Gedanken beruht, dass der Vorteil des abkommenswidrigen Verlustabzugs nur bis zu einem späteren tatsächlichen Ausgleich der Verluste gewährt werden soll. Dass diese Begrenzung nicht auf dem Weg über eine Änderung von Steuerbescheiden für das Verlustjahr, sondern bei der Besteuerung für das spätere Gewinnjahr erfolgt, spielt insoweit keine Rolle; maßgeblich ist, dass § 2 Abs. 1 Satz 1 und § 2 Abs. 1 Satz 3 AuslInvG eine in sich geschlossene Gesamtregelung enthalten, nach der die Hinzurechnung sowohl systematisch als auch inhaltlich an den Verlustabzug anknüpft und insbesondere ohne einen voraufgegangenen Verlustabzug nicht stattfindet. Das rechtfertigt eine Wertung des Inhalts, dass sie mit dem Verlustabzug „verklammert“ und auch gegenüber dem Erben des Verlusterzielers möglich ist.
f) Der Senat folgt hiernach nicht der im Schrifttum vertretenen Ansicht, aus dem Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608 sei abzuleiten, dass ein vom Erblasser vorgenommener Verlustabzug nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AuslInvG keine Hinzurechnung gegenüber dem Erben auslösen könne (so Probst in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, a.a.O., § 2a EStG Rz 536; Portner in Lademann, Einkommensteuergesetz, § 2a Rz 147). Die vom Großen Senat beurteilte Problematik unterscheidet sich von der hier interessierenden in systematischer Hinsicht dadurch, dass es dort allein um die Besteuerung des Erben, nicht aber um die Korrektur der gegenüber dem Erblasser vorgenommenen Steuerfestsetzung ging. Der Senat hält deshalb die Ansicht des FG für zutreffend, die in der Zeit bis 2007 auch in den Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) niedergelegt war (zuletzt R 2a Abs. 4 EStR 2005) und nach Angabe des BMF von der Finanzverwaltung weiterhin vertreten wird. Danach steht die Entscheidung des Großen Senats der Annahme, dass ein vom Erblasser abgezogener und bei ihm nicht ausgeglichener Betrag ggf. dem Erben gegenüber hinzuzurechnen ist, nicht entgegen (ebenso Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 2a Rz 89; wohl auch Wagner in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 2a EStG Rz 173).
4. Die Höhe des bei V nicht ausgeglichenen Abzugsbetrags, der dem Kläger hiernach zuzurechnen ist, hat das FG nach Maßgabe der von ihm festgestellten Erbquote bemessen. Das wird von den Klägern nicht beanstandet und ist, nachdem Anknüpfungspunkte für eine abweichende Verteilung des Abzugsbetrags nicht erkennbar sind, frei von Rechtsfehlern. Im Ergebnis dasselbe gilt im Hinblick auf die Feststellungen des FG zu Art und Höhe der Einkünfte des Klägers, die gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 AuslInvG im Rahmen der Hinzurechnung heranzuziehen sind. Unerheblich ist schließlich, ob die vom Kläger in den USA erzielten Einkünfte aus „aktiven“ Betriebsstätten i.S. des § 5 AuslInvG stammen, da die Hinzurechnung davon nicht abhängt (BFH-Urteil in BFHE 158, 368, BStBl II 1990, 112). Damit erweist sich das angefochtene Urteil als rechtsfehlerfrei, weshalb die Revision unbegründet ist.
5. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a FGO. Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.